Das Buch Wissenschaft und Erziehung ist das einzige Buch, das Petar Danov selbst verfasst und publiziert hat. Das zweite Buch ist „Das Testament der farbigen Strahlen des Lichtes“, dessen Inhalt eine Zusammenstellung biblischer Zitate darstellt. Die Arbeit an diesem Buch begann wahrscheinlich noch in Amerika, als Petar Danov Theologie und Medizin in Boston studierte. Alle folgenden Werke Danovs entstanden auf der Basis stenografischer Aufzeichnungen des gesprochenen Wortes. Als Grundlage dieser Übersetzung haben wir uns der ersten Ausgabe des Buches von 1896 bedient, da sie unserer Meinung nach als Original viele Vorteile hat. Auf Bulgarisch liegt das Buch in zwei Versionen vor: die in Warna gedruckte Ausgabe von 1896 und die Ausgabe von 2007. Die letzte stellt ein “`schwieriges Amalgam”‘ aus der ersten Ausgabe und aus ihrer durch Georgi Radev zustandegekommenen Überarbeitung dar. Nach den Überlieferungen von Methodi Konstantinov bat Petar Danov seinen Schüler Georgi Radev, das Buch textit{Wissenschaft und Erziehung} zu überarbeiten und es “`in neue Gewänder zu kleiden”‘. Ein zweiter Teil des Buches, der die Standards der Wissenschaft und der Erziehung nach 1900 berücksichtigen sollte, war geplant, wurde jedoch vom Autor nicht realisiert. In der Ausgabe von 2007 waren sowohl die Überarbeitungen von Georgi Radev als auch die Überarbeitungen der Herausgeber dieser Ausgabe nicht klar gekennzeichnet. Diese und andere Faktoren haben die Entscheidung bestärkt, bei der Übersetzung zum Text von 1896 zurückzukehren, obwohl die grobe Übersetzung des Buches zunächst auf der Grundlage des Textes von 2007 erfolgte. Die meisten Anmerkungen, die im Buch vorzufinden sind, stammen aus dieser Ausgabe von 2007 und sind kein Teil des Originals von 1896. Die Textabsätze entsprechen denen des Originals. Alle Bibelzitate stammen aus der Elberfelder Bibel.footnote{www.bibelserver.com}Obwohl textit{Wissenschaft und Erziehung} an ein breites Publikum gerichtet war und Fragen allgemeinmenschlicher Relevanz behandelt, ist dieses Buch in vieler Hinsicht dem damaligen Entwicklungsstand der Wissenschaft weit voraus, weil es eine einzigartige Synthese zwischen den einzelnen Wissenschaften~–~Theologie, Philosophie, Anthropologie, Physik, Astronomie, Kosmogonie, Evolutionstheorie und andere — bietet. Vor dem Hintergrund der damaligen europäischen Wissenschaft ist der neurowissenschaftliche Blick, der hier auf den Menschen geworfen wird, einzigartig und gleichzeitig revolutionär. Bekanntlich reiste Pet^{a}r D^{a}nov zwölf Jahre lang, um phrenologische Untersuchungen an ausgewählten Personen aus dem bulgarischen Volk durchzuführen. Im Buch wird die Einheit zwischen textit{Wissen} und textit{Glauben}, zwischen textit{Wissenschaft} und textit{Religion} herausgearbeitet. Es wird gezeigt, dass sowohl in der Wissenschaft als auch in der Religion Dogmen fehl am Platze sind und dass die Religion stets die Wissenschaft berücksichtigen sollte. Damit wird die Bedeutung der Wissenschaft und der Bildung für die allgemeine Erziehung des Menschen als ganzheitliche Methode zur Erhebung des menschlichen Geschlechts auf der Leiter der Evolution hervorgehoben.Wie der Titel des Buches es nahelegt, besteht zwischen der auf dem Prinzip der Wahrheit gründenden Wissenschaft und der Erziehung eine enge Korrelation. Die Wissenschaft, die den Menschen mit ihrem himmlischen Licht bescheint, bringt Fortschritt und Aufklärung. Die Erziehung ist ein Resultat des Wissens und der Anwendung der geistigen Gesetze und der Naturgesetze im seelischen Leben des Menschen. Die Erziehung und die Bildung des Menschen fallen außerdem mit seiner Evolution als Vernunftwesen in eins. Denn erst durch die Wissenschaft, d. h. durch die wissenschaftliche Betrachtung werden das Universum und die Natur für den Menschen zugänglich, weil er durch sie in das Reich der Gesetze eindringen kann, die im lebendigen Ganzen der Natur walten. Unter dieser Voraussetzung wird der Bezug des Menschen zur Natur nicht mehr von der Macht des Unwissens dominiert. Er wird reflektierter, weil der Mensch nunmehr in der Lage ist, sich von der Knechtschaft der Naturgewalten zu befreien und entwickelt ein absolut neues Bewusstsein über sie und somit von sich selbst. Damit ändert sich seine Stellung in der Natur, weil er nicht mehr als ein weiteres, hin und her getriebenes Rädchen des blinden Naturmechanismus verstanden wird, sondern als ein Vernunftwesen, das als solches mit der Natur, die ihrerseits auch ein organisiertes, lebendiges Vernunftwesen ist, kooperieren und den Prozess seiner Evolution selbst steuern kann, indem er mit den Gesetzen der Natur als lebendiges Ganzes im Einklang lebt.
Die Idee einer Entsprechung zwischen dem Aufbau des Kosmos in seiner materiellen und immateriellen, d. h. geistigen Gestalt und der Konstitution des Menschen und seiner Seele ist nicht neu. Sie ist beispielsweise in der platonischen Kosmologie vertreten, die Platon in seinem Dialog textit{Timaios} entwickelt. In dieser Kosmologie spielt der Gedanke des inneren Zusammenhangs zwischen Kosmos, Ethik und politisch-gesellschaftlicher Ordnung eine tragende Rolle, durch welche Platon die strikte Trennung zwischen dem Streben nach Erkenntnis [Wissenschaft] und ethischer Norm überwindet. Dieses kosmologische Konzept führt zu einem neuen Menschenbild: Nicht der Mensch, sondern der Kosmos ist das Maß aller Dinge. Denn durch das Einwirken der Ideen als unbewegliche und unveränderliche Prinzipien des Wirklichen auf dem ungeordneten und unendlichen Raum entstehen sowohl die Weltseele als auch der vernünftige Teil der Menschenseele. Deshalb behauptet Platon, dass die Betrachtung des Kosmos eine psycho-somatische Wirkung auf den Menschen hat, indem sie das seelische und körperliche Wohlbefinden des Menschen fördert. Sie gibt ihm außerdem wichtige Richtlinien im Hinblick auf die gute Lebensführung. So fungiert die kosmische Ordnung als Vorbild, durch welches das gute und möglichst vernunftgemäße Leben realisiert werden kann, d. h. die Realisierung des guten Lebens hängt von der Angleichung des Mikrokosmos [Seele des Menschen] an den Makrokosmos [Weltseele] um des guten und des möglichst vernunftgemäßen Lebens willen ab. Bedingung desselben ist die Erforschung der Harmonie und der Umläufe des Kosmos. Im Angleichungsprozess an seine ursprüngliche Natur realisiert der Mensch das ihm von den Göttern als das beste aufgezeigte Leben.
Wie wird nach D^{a}nov beim Menschen die Bewusstseinswandlung vollzogen, die ihn dazu bringt, eine vollkommen neue Idee von der Natur zu entwickeln und sie als ein wohl organisiertes und lebendiges Ganzes zu betrachten? Durch die Erkenntnis der drei Grundgesetze — das Gesetz der universellen Anziehung oder der Schwerkraft, das Gesetz des Gedankens und das Gesetz des Bios –, die im Universum herrschen und die kosmische Evolution bedingen, kommt der Mensch zu einer Betrachtung und Erklärung des Universums als etwas Lebendiges. Die drei Gesetze herrschen in den drei Welten, in der physischen, materiellen Welt, in der Verstandeswelt und in der geistigen Welt. Die letzte ist die Quelle des Lebens und der Vitalität, weil das Bios der ewige Grund alles Lebendigen, das Erste und Letzte in allem ist.
Die unterschiedliche Gewichtung bei der Auslegung dieser Gesetze lässt drei Typen theoretischer Positionen über die Wirklichkeit entstehen — Materialismus, Idealismus und Spiritualismus, die, wie Danov später ausführt, das unüberwindbare “`Dilemma des Dreiecks”‘ bilden, weil diese theoretischen Positionen über das Wirkliche eine einseitige und damit defizitäre Interpretation des Wirklichen und der Welt bieten. Die Auflösung des Dilemmas sieht Danov in der Synthese der obigen theoretischen Positionen, die zu einer ganzheitlichen Ansicht über die Welt führen. Durch diese Erkenntnis legt der Mensch das erste Fundament seiner Erziehung qua Selbsterziehung, welche gleichzeitig als Evolution des Menschen als Vernunftwesen fungiert.
Nach D^{a}nov ist die Evolution ein komplexes Phänomen, weil sie sich in den drei Welten, in der materiellen, in der Verstandeswelt und in der geistigen Welt, d. h. in der Welt des Lebendigen und des Lebens manifestiert. Somit wird der Prozess der Evolution nicht nur aufgrund der natürlichen Auswahl der Arten und ihrer Anpassungsfähigkeit vollzogen, wie Charls Darwin in seiner Evolutionstheorie postuliert. Die wahre Evolution des Menschen aber auch diese des Kosmos geschieht aufgrund des Einwirkens der obigen drei Gesetze auf die unterschiedlichen Regionen des Kosmos.
D^{a}nov grenzt jedoch die kosmische Evolution von der menschlichen Evolution als Spezialfall ab, weil ihr noch ein weiterer Aspekt zukommt, der spezifisch für die Evolution des Menschen ist und bei der kosmischen Evolution nicht zum Vorschein kommt: Die Evolution des Menschen gründet auf der Gegensätzlichkeit der beiden großen Gesetze der Entwicklung — Selbsterhaltung versus Sittengesetz (die Pflicht) und Liebe — deren Wirkung er unmittelbar ausgesetzt ist. Evolution geschieht sowohl auf die Makroebene, also in der Gesellschaft als auch auf die Mirkoebene, d. h. im einzelnen Individuum.
Aus den obigen Ausführungen wird klar, dass D^{a}nov im Geiste der Aufklärung argumentiert, indem er zeigt, dass die Kultivierung des Menschen, d. h. die Evolution der Menschen als Vernunftwesen von seiner Fähigkeit abhängt, seine niederen Triebe dem Sittengesetz und der Liebe unterzuordnen. Die Liebe zügelt alle Triebe und Neigungen der groben Natur des Menschen und schafft Bedingungen dafür, dass der Mensch veredelt wird und als Vernunftwesen autonom denken und handeln kann. Laut D^{a}nov zeigte sie ihm den Weg der Aufklärung. Die Evolution des Menschen als geistiges Wesen eröffneten ihm die Tür zur sittlichen Welt, wodurch er die Fähigkeit entwickelte, die Wahrheit von der Lüge, das Rechte vom Unrechten, das Gute vom Bösen zu unterscheiden.
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass nach Danov zwei wichtige Ergebnisse aus der wissenschaftlichen Betrachtung der Natur für den Menschen resultieren:
1. Der Mensch begreift nunmehr die Natur als ein vollkommen organisiertes Ganzes. Sie ist ein vernünftiges System und manifestiert sich als die Einheit einer Ganzheit, deren Teile in Wechselwirkungsverhältnissen stehen. Weil ihr eine innere Zweckmäßigkeit, d. h. ein teleologisches Prinzip innewohnt, ist sie ein lebendiges, empfindendes und vernünftiges Ganzes, das ein allgemeines, großes Ziel verfolgt. Sie enthält vernünftige Prinzipien und Kräfte, auf welche das ganze Leben gründet. Ihr wohnt außerdem ein Geist inne, der “`alle Vernunftwesen nach einem inneren Gesetz in einer inneren Einheit verbindet.”‘ Der Geist der Natur bedingt den Evolutionsprozess des Lebendigen, indem er die Qualität des Lebens nach dem Gesetz der Liebe und der Pflicht verändert und vervollkommnet. Wenn die inneren Bedingungen des organischen Lebens im Einklang mit den inneren Naturbedingungen stehen, dann wird das Leben ewig. Der Tod, der im endlichen Leben eine Notwendigkeit ist, weil er das Werden und Vergehen der Dinge bedingt, hebt sich als Modus des Organischen selbst auf.
2. Der Mensch betrachtet die Natur als Mutter, Lehrerin und Erzieherin. Diese ist stets darum bemüht, durch gewisse Methoden den Menschen zu erziehen und zu veredeln.
Diese Tatsache, dass der Mensch anerkennt, dass die Natur ihm gegenüber nicht gleichgültig ist und nur gewalttätig agiert, wirkt sich unmittelbar auf die Entwicklung und auf den Evolutionsprozess des Menschen aus. Dieser Prozess geht mit der Anerkennung dieser Stellung der Natur einher. Der Mensch kann nicht mehr gegen ihre Prinzipien leben und handeln. Trotz seiner Sonderstellung im Reich des Lebendigen wird der Mensch nach D^{a}nov nicht als die Krone der Schöpfung verstanden, sondern er ist ein Teil dieser Schöpfung und Teil der organischen Natur. Somit unterliegt er den Gesetzen der Evolution, welche nicht rein mechanischen Ursprungs sind und auf die äußerliche Beziehung zwischen Ursache und Wirkung beruhen.
Der Evolution des Menschen im Speziellen und aller Vernunftwesen im Allgemeinen liegt das Prinzip der Freiheit zugrunde. Sie ermöglicht die autonome Selbstbestimmung des Menschen und geht mit seiner Fähigkeit, sich selbst Zwecke zu setzen einher. Durch die Fähigkeit des Menschen, frei, d. h. unabhängig von Trieben und Begierden, von der Kausalität und dem Mechanismus der äußeren und inneren Natur sowie sich selbst das Gesetz gebend zu handeln, wird der Prozess der Evolution in Gang gesetzt. Die Evolution des Menschen ist kein singuläres Phänomen, sondern schließt die Evolution der anderen Lebewesen mit ein und geschieht nicht auf ihre Kosten. Steigt der Mensch auf die Evolutionsleiter hinauf, hat das zur Folge, dass alle anderen belebten oder unbelebten Geschöpfe in dieser Bewegung mitgezogen werden, weil sich die Beziehung des Menschen auf sie als Gegenstände verändert und sie sich dementsprechend verändern müssen. In späteren Vorträgen sagt D^{a}nov, dass jeder Mensch sich über die Erhebung und über den Erfolg seiner Freunde und Nächsten freuen solle, weil er aus diesen Veränderungen nicht ausgeschlossen sei und sich nur auf diese Weise selbst erheben könne. Somit ist sein persönliches Leben und Glück nicht das Wichtigste in der Welt, dem alle anderen Wesen dienen sollen. Aus diesem Grund kommt D^{a}nov zu der wichtigen Schlussfolgerung, dass solch eine Deutung der menschlichen Freiheit das Leben vieler Mitgeschöpfe koste und dass diese Form der Eigenliebe die Welt in eine primitive Anarchie verwandeln werde. Deshalb ist dem Menschen aus ethischen Gründen nicht erlaubt, anderen Lebewesen Gewalt anzutun oder sie gar zu töten. Aus diesem Grund empfehlt Danov eine vegetarische Ernährungsweise.
Dem Evolutionsprozess des Menschen setzt Danov die Evolution des Teufels entgegen, die nicht auf Liebe und Pflicht, sondern auf dem Prinzip der Eigenliebe beruht. Beide existieren gleichermaßen im Menschen, wobei die erste die Evolution des natürlichen, die zweite des geistigen Menschen bedingt. Denn nach der Evolution, die durch Selbsterhaltung geschieht, kommt die Evolution, die auf dem Prinzip der Pflicht beruht. Die Evolution durch Selbstliebe wird durch die Evolution durch das Prinzip der Liebe ersetzt. Der Geist der Wahrheit errichtet die Mauer des Hauses der Erziehung auf dem Fundament von Wahrheit, Liebe und Tugend (Güte). Nachdem der Mensch den Weg der Evolution eingeschlagen hat, begreift er, dass hinter der ganzen Schöpfung und dem ganzen Prozess der Evolution ein Autor verborgen liegt, der ein Haus errichtet, in welchem das Leben auf ewig ist und wo der Mensch einziehen wird, um dort erzogen zu werden. Obwohl dieser Autor überall gegenwärtig ist, hält er den Ort Seines heiligen Aufenthaltes auf ewig vor den Blicken aller Sterblichen verborgen. Denn “`Gott ist Geist”‘.
Wie aus der obigen Darlegung ersichtlich wird, arbeiten Wissenschaft und Erziehung Hand in Hand und bedingen das Leben und den Evolutionsprozess des Menschen. Im Buch textit{Wissenschaft und Erziehung} legt D^{a}nov das theoretische Fundament seines Konzeptes von Erziehung, das er im Laufe seiner Tätigkeit grundlegend erweitert. Denn die Erziehung des Menschen durch Wissenschaft, die, wie das Buch es nahelegt, interdisziplinär geschehen soll, wird durch die Erziehung durch Kunst ergänzt. Weitere inhaltliche Punkte möchten wir jedoch an dieser Stelle nicht vorwegnehmen, sondern dem Leser die Freiheit überlassen, das Buch selbst für sich zu entdecken.